Der Reiter ohne Kopf auf dem Zwönitzer Ziegenberg

 

In früherer Zeit geisterte das Wilde Heer und der gespenstische Reiter ohne Kopf auf den Erzgebirgshöhen. Der Anlaß zur Sagen­bildung mag entsprechend der Örtlichkeit unterschiedlich gewesen sein. Den historischen Kern bilden jedoch uralte Überlieferungen aus der germanischen Götterwelt, verstärkt und erneuert durch Geschehnisse aus Kriegs- und Raubritterzeiten.

Das traf auch auf den Zwönitzer Ziegenberg zu. Nahe dieser Stelle gabelten sich einst die alten Klosterstraßen nach Grünhain und Elterlein und waren Teil der Erzgebirgsübergänge nach Böh­men. Auf dem Ziegenberg stand der Zwönitzer Galgen. In der Umgebung trieben früher Raubritter und Wegelagerer ihr Unwesen. Der nahe Schatzenstein soll ein Räubernest gewesen sein. Schon 1252 fiel der Stollberger Burggraf Erkenbert brandschatzend über Kühnhaide ins Klostergebiet ein. Seit 1992 steht auf dem Zwönitzer Ziegernberg eine Skulptur, den sagenhaften Reiter ohne Kopf darstellend (Foto: A. Tannert)

Alte mythologische Vorstellungen, historische Begebenheiten und grausige Geschehnisse späterer Zeit spiegeln sich phantastisch in der Heimatsage wider. Die Sage vom Ziegenberg erzählt folgende blu­tige Tragödie:

Der Zwönitzer Müller hatte eine schöne Tochter, die dem Förster zu Grünhain sehr zugetan und versprochen war. Der junge Mann hatte sich aber bisher wenig um die Familienverhältnisse seiner Verlobten gekümmert und wußte nicht, daß sie einen Bruder. hatte, der aus der Müllerfamilie ausgestoßen war, weil er ohne Erlaubnis des.Vaters die Tochter eines Scharfrichters geehelicht hatte. Mit der Familie eines Henkers wollte niemand etwas zu tun haben, da dieses Gewerbe als unehrenhaft galt.

 

Das junge Mädchen sah ihren Bruder selten und bedauerte es sehr, Weil sich beide gut verstanden. Eines Tages hatten sich der Förster und die Müllerstochter in einer Schenke zum Tanz verabre­det. Dort traf das Mädchen unvermutet ihren Bruder mit dessen Frau. Und da sich der Förster verspätete, tanzten die Geschwister einige Male miteinander. Bald kam der junge Förster angeritten und eilte in den Tanzsaal. Da sah er seinen Schatz in den Armen eines Fremden, mit dem sie lachte und scherzte. Rasende Eifersucht ergriff den Grünrock. Er gab vor, etwas im Walde verloren zu haben und lockte seine Braut auf den Ziegenberg.

 

In der Einsamkeit warf er seiner Verlobten Untreue vor, duldete keinen Widerspruch und erstach die Unglückliche, ohne sich ihre flehenden Worte anzuhören. Mit schwacher Stimme konnte die Sterbende nur noch beteuern, der angebliche Liebhaber sei ihr Bruder. Entsetzt und verzweifelt warf sich nun der Förster auf die ermordete Geliebte, konnte sie aber nicht mehr zum Leben erwek­ken.

Er ritt zur Schenke, trat leichenblaß und mit blutigen Händen in den Saal. In seiner Faust blinkte noch die Mordwaffe. Die Musik verstummte, und mit Grabesstimme verkündete der verzweifelte Förster seine Tat und stellte sich dem Gericht.

 

Die Verhandlung war kurz. Der Kopf des Försters fiel in Grünhain unter dem Hieb des Scharfrichters. Auf dem Fleck aber, wo die Tat auf dem Ziegen­berg geschehen, wuchs ein Rosenstrauch, dessen weiße Blüten nachts wie mit Blut besprengt aussahen.

 

In einer Sagenballade heißt es:

 

Ein Rosenstrauch kündet noch heute den Fleck,

wo die blutige Tat einst geschehen.

Die mildweiße Rose mit Blut besprengt,

und die Blätter traurig zur Erde gesenkt,

hat mancher bei Nacht ihn gesehen.

 

Nach der Sage soll zu mitternächtlicher Stunde ein Reiter ohne Kopf von Grünhain her angeritten kommen, kurze Zeit an den Rosen auf dem Ziegenberg verweilen und dann wieder zum Grün­hainer Richtplatz umkehren.

 

Selbstverständlich lieferte diese alte Volkssage einen beliebten Unterhaltungsstoff bei abendlichen Zusammenkünften. Auch das Puppentheater griff das sehr wirkungsvolle Thema als „Rührstück" auf, und die Säle waren immer gut besetzt, wenn „Der Förster aus Grünhain" oder „Der Mord aus Eifersucht — ein Drama in vier Akten" angekündigt worden war. So ist der Reiter ohne Kopf vom Zwönitzer Ziegenberg der bekannteste von allen „kopflosen" Ge­sellen der Gegend geworden.